Übersetzung: Those who walk away from Omelas
April 4th 2022
Jene, die Omelas verlassen
Aus Die Zwölf Viertel des Windes: Kurzgeschichten von Ursula Le Guin
Mit dem Lärm der Kirchturmglocken, die die Schwalben in den Himmel trieben, kam das Sommerfest in die Stadt Omelas, die vom im Sonnenlicht hell schimmernden Meer überragt wurde. Im Hafen flackerten die Fahnen an den Takelwerken der Boote. Zwischen den rotgedeckten Häusern und ihren bunt bemalten Wänden, zwischen alten mooßbewachsenen Gärten und baumgesäumten Alleen, vorbei an großen Parks und öffentlichen Gebäuden, wanderte der Menschenzug. Manche waren schicklich gekleidet: alte Menschen in langen, steifen Roben lilafarben und grau, strenggesichtige, stille Handwerksmeister, fröhliche Frauen, die ihre Kinder in den Armen hielten und sich unterhielten, während sie dem Zug folgten. In anderen Straßen war der Rhythmus der Musik schneller, ein Zusammenspiel von Gong und Tamburin und die Menschen tanzten, die Prozession war ein Tanz. Kinder rannten hinein und hinaus, ihre hellen Stimmen klangen hoch zu den Schwalben, deren Flug sich über der Musik und dem Gesang kreuzten. Alle Umzüge wanderten in den Norden der Stadt, wo auf der großen Aue, die Green' Fields genannt wurde, Jungen und Mädchen enthüllt in der frischen Luft, mit schlammverschmutzen Füßen und langen, geschmeidigen Armen, ihre unruhigen Pferde vor dem Rennen trainierten. Jene Pferde trugen nicht mehr als ein Halfter ohne Trense. Ihre Mähnen waren verflochten mit Luftschlangen aus Gold, Silber und Grün. Sie blähten ihre Nüstern und trabten und brüsteten sich vor einander; sie waren äußerst aufgeregt, denn das Pferd war das einzige Tier, das sich unsere Zeremonien und Feierlichkeiten zu eigen gemacht hatte. Weit entfernt im Norden und Westen erhoben sich die Berge und umgaben Omelas bis hin zu ihrer Bucht. Die Morgenluft war so frisch und klar, dass der Schnee, der die Eighteen Peaks krönte, mit weiß-goldenem Feuer über die Meilen von sonnenbeschienener Luft unter dem dunkelblauen Himmel brannte. Es gab gerade genug Wind, um die Banner, die die Rennbahn markierten, hin und wieder schnappen und flattern zu lassen. In der Stille der weiten grünen Wiesen war die Musik zu hören, die sich durch die Straßen der Stadt schlängelte, weiter und näher und immer näher kommend, mit einer heiteren, schwachen Süße der Luft, die von Zeit zu Zeit zerfloss und sich abermals sammelte und in ein großes freudiges Klingen der Glocken auseinander brach.
Erquicklich! Doch wie berichtet man über Glück? Wie beschreibt man die Bewohner von Omelas?
Sie waren kein einfaches Volk, musst du wissen, auch wenn sie glücklich waren. Doch wir sprechen die Worte des Jubels nicht mehr so viel. Die lächelnden Gesichter sich archaisch geworden. Angesichts einer Beschreibung wie dieser neigt man dazu, bestimmte Annahmen zu treffen. Bei einer Beschreibung wie dieser sucht man als nächstes nach dem König, der auf einem prächtigen Hengst reitet und von seinen edlen Rittern umgeben ist, oder vielleicht in einer goldenen Sänfte, die von muskulösen Sklaven getragen wird. Doch es gab hier keinen König. Sie trugen keine Schwerter und sie hielten keine Sklaven. Sie waren keine Barbaren. Ich kenne die Regeln und Gesetze ihrer Gesellschaft nicht, aber ich vermute, dass es außerordentlich wenige waren. Und wie sie auf Monarchie und Sklaverei zu verzichten wussten, so kamen sie auch ohne die Börse, ohne Werbungen, ohne Geheimpolizei und Bomben aus. Doch, so muss ich wiederholen, waren sie kein einfaches Volk, keine wohlgefälligen Hirten, edlen Wilde, nüchternen Utopisten. Sie waren nicht weniger komplex als wir. Das Problem ist nur, dass wir die schlechte Angewohnheit haben, Glück für etwas recht Dummes zu halten, etwas, das von Bürokraten und Gelehrten gefördert wird. Nur der Schmerz ist intellektuell, nur das Böse von Interesse. Jenes ist der Verrat des Künstlers: die Verweigerung, die Banalität des Bösen und die schreckliche Langeweile des Schmerzes zuzugeben. Wenn du dagegen nicht ankommst, musst du eben mitmachen. Wenn es wehtut, mach es nochmal. Doch Verzweiflung zu loben und Freude zu verurteilen, Gewalt zu huldigen bedeutet, dass man alles andere aus den Augen verliert. Wir haben es beinahe verloren; wir können einen glücklichen Mann nicht mehr länger beschreiben, noch können wir fröhliche Feierlichkeiten beschreiben. Wie nun also kann ich dir von den Menschen von Omelas erzählen? Sie waren keine naiven, glücklichen Kinder - auch wenn ihre Kinder in der Tat glücklich waren. Sie waren reife, intelligente, leidenschaftliche Erwachsene, deren Leben nicht voll Elend war. Welch ein Wunder! Doch ich wünschte, ich könnte es besser beschreiben. Ich wünsche, ich könnte dich überzeugen. Meine Worte beschreiben Omelas wie eine Stadt in einem Märchen, vor langer, langer Zeit an einem weit entfernten Ort. Vielleicht wäre es das Beste, wenn du es dir so vorstellst, wie es dir am besten gefällt, davon ausgehend, dass es jeder Situation gewachsen sein wird, denn ich kann sicherlich nicht allem gerecht werden. Wie sieht es zum Beispiel mit Technologie aus? Ich glaube, es gäbe keine Autos, oder Helikopter in und über den Straßen; das kommt daher, dass die Menschen von Omelas glückliche Leute sind. Glück basiert auf einer gerechten Unterscheidung dessen, was notwendig ist, was weder notwendig noch destruktiv ist, und was destruktiv ist. In der mittleren Kategorie jedoch – der des Unnötigen, aber Unzerstörbaren, der des Komforts, des Luxus, des Überschwangs usw. – könnten sie durchaus Zentralheizungen, U-Bahnen usw. haben. Waschmaschinen und alle möglichen wunderbaren Geräte, die hier noch nicht erfunden wurden, schwebende Lichtquellen, brennstofflose Energie, ein Heilmittel gegen die Erkältung. Oder aber sie haben nichts dergleichen: All das ist unwichtig. Wie du willst. Ich neige zu der Annahme, dass Menschen aus Städten entlang der Küste in den letzten Tagen vor dem Festival mit sehr schnellen kleinen Zügen und doppelstöckigen Straßenbahnen nach Omelas gekommen sind und dass der Bahnhof von Omelas das schönste Gebäude in der Stadt ist, wenn auch schlichter als der prächtige Bauernmarkt. Aber selbst wenn es Züge gibt, fürchte ich, dass Omelas bisher einigen von euch ein wenig zu artig erscheint. Lächelnde Gesichter, Glockenklänge, Paraden, Pferde, bäh. Wenn es schon so sein muss, dann doch bitte mit einer Orgie. Wenn eine Orgie hilft, dann bitte, zögere nicht. Lasst uns jedoch keine Tempel haben, aus denen schöne nackte Priester und Priesterinnen hervorgehen, die bereits halb in Ekstase und bereit sind, sich mit jedem Mann oder jeder Frau, Liebhaber oder Fremden, der die Vereinigung mit der tiefen Gottheit des Blutes wünscht, zu paaren, obwohl dies meine erste Idee war. In Wirklichkeit ist es vielleicht besser, keine Tempel in Omelas zu haben, jedenfalls keine bemannten. Religion ja, aber kein Klerus. Sicherlich können die schönen Nackten einfach umherwandern und sich wie göttliche Gaben dem Hunger der Bedürftigen und der Verzückung des Fleisches anbieten. Lasst sie einfach teilnehmen an den Prozessionen. Lasst Tamburine über den Kopulationen schlagen und die Glorie der Begierde beim Klang des Gongs verkünden, und (ein nicht unwichtiger Punkt) lasst die Nachkommen dieser entzückenden Rituale von allen geliebt und gepflegt werden. Eine Sache, von der ich weiß, dass es sie in Omelas nicht gibt, ist Schuld. Doch was sonst kann es geben? Ich dachte zuerst, es gäbe keine Drogen, aber das ist puritanisch. Für diejenigen, die es mögen, kann die schwache, beharrliche Süße von Drooz die Wege der Stadt parfümieren, Drooz, das zunächst eine große Leichtigkeit und Brillanz in den Geist und die Glieder bringt und dann nach einigen Stunden zu einer verträumten Mattigkeit wird und wunderbare Visionen schließlich geheimnisvolle und tiefsten Geheimnisse des Universums erweckt, sowie das Vergnügens beim Sex jenseits aller Vorstellung erregt; und es macht natürlich nicht abhängig. Für bescheidenere Geschmäcker sollte es, glaube ich, Bier geben. Und was noch, was sollte es in einer fröhlichen Stadt wie dieser noch geben? Das Gefühl des Sieges, sicherlich, die Verherrlichung des Mutes. Aber so, wie es keinen Klerus gibt, lasst uns auch die Soldaten weglassen. Die Freude, die auf ein erfolgreiches Schlachten aufgebaut ist, ist nicht die richtige Art von Freude; so würde es nicht gehen; es ist beängstigend und es ist trivial. Eine grenzenlose und großzügige Zufriedenheit, ein großmütiger Triumph, der nicht gegen einen äußeren Feind empfunden wird, sondern in Gemeinschaft mit dem Erlesensten und Schönsten in den Seelen aller Menschen überall und dem Glanz des Sommers der Welt; das ist es, was die Herzen der Leute von Omelas anschwellen lässt, und der Sieg, den sie feiern, ist der des Lebens. Ich glaube tatsächlich nicht, dass viele von ihnen Drooz nehmen müssen.
Die meisten Prozessionen haben mittlerweile Green Fields erreicht. Aus den rot-blauen Zelten der Versorger strömt ein herrlicher Duft von Essen. Die Gesichter kleiner Kinder sind liebenswürdig klebrig; in dem gutartigen grauen Bart eines Mannes verfangen sich ein paar Krümel von gehaltvollem Gebäck. Die Jungen und Mädchen haben ihre Pferde bestiegen und beginnen sich um die Startlinie des Parcours zu gruppieren. Eine alte Frau, klein, dick und lachend, reicht Blumen aus einem Korb, und große junge Männer tragen ihre Blumen in ihren glänzenden Haaren. Ein Kind von neun oder zehn Jahren sitzt allein am Rand der Menge und spielt auf einer Blockflöte. Die Leute halten inne, um zuzuhören, und sie lächeln, aber sie sprechen nicht mit ihm, denn er hört nie auf zu spielen und sieht sie nie, seine dunklen Augen ganz hinweggerissen von der süßen, seichten Magie der Melodie.
Als er fertig ist, lässt er langsam die Hände sinken, in denen er die Blockflöte hält. Und als wäre diese kleine private Stille das Signal, erklingt auf einmal eine Trompete aus dem Pavillon in der Nähe der Startlinie: herrisch, melancholisch, durchdringend. Die Pferde bäumen sich auf ihre schlanken Beine und einige von ihnen wiehern als Antwort. Mit nüchternem Gesicht streicheln die jungen Reiter die Hälse der Pferde und beruhigen sie, indem sie flüstern: "Ruhig, ruhig meine Schönheit, meine Hoffnung." Sie beginnen, sich in Reihen entlang der Startlinie zu formieren. Die Menschenmassen entlang der Rennbahn sind wie ein Feld aus Gras und Blumen im Wind. Das Sommerfest hat begonnen. Glaubst du daran? Akzeptierst du das Fest, die Stadt und die Freude? Nein? Lass mich noch eine weitere Sache beschreiben.
In einem Keller unter einem der schönen, öffentlichen Gebäude Omelas, oder vielleicht in einem Keller eines der geräumigen privaten Wohnhäuser, dort gibt es einen Raum. Jener Raum hat eine verschlossene Tür und keine Fenster. Ein wenig Licht sickert staubig zwischen Ritzen in den Brettern herein. Es musste von einem mit Spinnweben übersäten Fenster irgendwo auf der anderen Seite des Kellers her stammen. In einer Ecke des kleinen Zimmers stehen ein paar Mopps mit steifen, verklumpten, übel riechenden Köpfen neben einem rostigen Eimer. Der Boden ist dreckig, fühlt sich etwas feucht an, wie Kellerschmutz normalerweise ist. Der Raum ist ungefähr drei Schritte lang und zwei breit: eine bloße Besenkammer oder eine stillgelegte Werkzeugkammer. In diesem Raum sitzt ein Kind. Es mochte ein Junge sein, oder ein Mädchen. Zwar sah es aus, wie etwa sechs, doch in Wahrheit war es beinahe zehn. Es ist schwachsinnig. Vielleicht wurde es mit jenen Mängeln geboren oder ist durch Angst, Unterernährung und Vernachlässigung geisteskrank geworden. Es bohrt in der Nase und fummelt gelegentlich abwesend mit seinen Zehen oder Genitalien herum, während es in der Ecke sitzt, die am weitesten von dem Eimer und den beiden Mops entfernt ist. Vor den Mopps hat es Angst. Es findet sie schrecklich. Es schließt die Augen, aber es weiß, dass die Mopps noch da stehen; und die Tür ist verschlossen; und niemand kommen wird. Die Tür ist immer verschlossen; und es kommt nie jemand, außer dass manchmal – das Kind hat kein Verständnis für Zeit oder Intervalle – manchmal die Tür fürchterlich rasselt und aufgeht, und eine Person oder mehrere Personen sind da. Einer von ihnen mag kommen und das Kind treten, damit es aufsteht. Die anderen kommen ihm niemals nahe, doch sie starren es an mit angsterfüllten, angeekelten Blicken. Der Futternapf und der Wasserkrug werden hastig gefüllt, die Tür wird verschlossen, die Augen verschwinden. Die Leute an der Tür sagen nie etwas, aber das Kind, das nicht immer im Geräteraum gelebt hat und sich an Sonnenlicht und die Stimme seiner Mutter erinnern kann, spricht manchmal. "Alles wird gut", sagt es. "Bitte lasst mich heraus. Ich will auch immer artig sein!" Niemand antwortet jemals. Früher hat das Kind nachts um Hilfe geschrien und viel geweint, aber jetzt gibt es nur noch eine Art Winseln von sich, "u-huu, u-huu", und es spricht immer seltener. Es ist so dünn, dass seine Beine keine Waden haben; sein Bauch steht hervor; es lebt von einer halben Schüssel Maismehl und Fett am Tag. Es ist nackt. Sein Gesäß und seine Oberschenkel sind eine Masse von eiternden Wunden, da es immerzu in seinen eigenen Ausscheidungen sitzt.
Sie alle wissen, dass es dort ist, die Menschen von Omelas. Einige sind gekommen, um es zu sehen, andere wissen nur, dass es dort ist. Sie alle wissen, dass es dort sein muss. Einige von ihnen verstehen warum, andere nicht, aber sie alle verstehen, dass ihr Glück, die Schönheit ihrer Stadt, die Zärtlichkeit ihrer Freundschaften, die Gesundheit ihrer Kinder, die Weisheit ihrer Gelehrten, die Fähigkeiten ihrer Macher, sogar die Fülle ihrer Ernte und das freundliche Wetter ihres Himmels vollständig von dem abscheulichen Elend dieses Kindes abhängen.
Dies wird Kindern normalerweise zwischen acht und zwölf Jahren erklärt, wann immer sie dazu in der Lage zu sein scheinen; und die meisten, die kommen, um das Kind zu sehen, sind junge Leute, obwohl oft genug auch Erwachsene kommen oder zurückkommen, um das Kind zu sehen. Egal, wie gut ihnen die Situation erklärt wurde, sind diese jungen Beschauer immer schockiert und angewidert bei dem Anblick. Sie empfinden Ekel, dem sie sich zuvor für überlegen gehalten hatten. Sie spüren Wut, Empörung, Ohnmacht, trotz aller Erklärungen. Sie würden gerne etwas für das Kind tun. Doch es gibt nichts, was sie tun können. Wenn das Kind aus diesem abscheulichen Ort ins Sonnenlicht gebracht würde, wenn es gereinigt, gefüttert und getröstet würde, wäre das in der Tat eine gute Sache; aber wenn es dies geschähe, würde an jenem Tag und in dieser Stunde der ganze Wohlstand, die Schönheit und das Entzücken von Omelas verwelken und zerstört werden. So sind die Bedingungen. Die ganze Güte und Anmut jedes Lebens in Omelas gegen diese eine, kleine Verbesserung einzutauschen: das Glück von Tausenden wegzuwerfen für die Chance auf das Glück eines Einen: das hieße tatsächlich, Schuld in die Stadtmauern zu lassen.
Die Bedingungen sind streng und bedingungslos; es darf nicht auch nur freundliches Wort mit dem Kind gesprochen werden.
Oft gehen die jungen Leute in Tränen oder in tränenloser Wut nach Hause, wenn sie das Kind gesehen und sich diesem schrecklichen Paradoxon gestellt haben. Möglicherweise grübeln sie darüber für Wochen oder Jahre. Aber mit der Zeit beginnen sie zu begreifen, dass selbst wenn das Kind freigelassen werden könnte, es nicht viel von seiner Freiheit hätte: ein wenig vage Freude an Wärme und Essen, zweifellos, aber wenig mehr. Es ist zu vermindert und geistesschwach um wahre Freude zu erkennen. Es hat zu lange Angst gehabt, um frei von Angst zu sein. Seine Gewohnheiten sind zu ungehobelt, als dass er auf eine humane Behandlung reagieren könnte. Tatsächlich wäre es nach so langer Zeit wahrscheinlich elend ohne Schutzmauern, ohne Dunkelheit für seine Augen und ohne seine eigenen Ausscheidungen, in denen es sitzen könnte. Ihre Tränen über die bittere Ungerechtigkeit versiegen, wenn sie beginnen, die schreckliche Gerechtigkeit der Realität zu erkennen und zu akzeptieren. Und doch es sind ihre Tränen und ihre Wut, die Anstrengung ihrer Großzügigkeit und die Akzeptanz ihrer Hilflosigkeit, die vielleicht die wahre Quelle des Glanzes ihres Lebens sind. Ihr Glück ist kein leeres, verantwortungsloses Glück. Sie wissen, dass sie, wie auch jenes Kind, nicht frei sind. Sie kennen Mitgefühl. Es ist die Existenz des Kindes und ihr Wissen um seine Existenz, das die Vornehmheit ihrer Architektur, die Wehmut ihrer Musik, die Tiefgründigkeit ihrer Wissenschaft ermöglicht. Es ist wegen diesem Kind, dass sie so sanft zu ihren Kindern sind. Sie wissen, dass wenn der Elende nicht da wäre und im Dunkeln wimmerte, könnte der andere, der Flötenspieler, keine fröhliche Musik machen, wenn die jungen Reiter in ihrer Schönheit im Sonnenlicht des ersten Sommermorgens zum Rennen antreten. Nun denn, glaubst du an sie? Sind sie nicht viel glaubwürdiger? Aber es gibt noch etwas zu berichten, und das ist recht unglaublich.
Manchmal geht eines der heranwachsenden Mädchen oder Jungen, die das Kind besuchen, nicht nach Hause, um zu weinen oder zu wüten, sondern geht tatsächlich gar nicht nach Hause. Manchmal verstummt auch ein viel älterer Mann oder eine viel ältere Frau für ein oder zwei Tage und verlässt dann das Heim. Diese Leute gehen auf die Straße und gehen sie dann allein entlang. Sie gehen weiter und weiter und verlassen die Stadt Omelas geradewegs durch die wunderschönen Stadttore. Sie gehen weiter über das Ackerland von Omelas. Ein jeder geht allein, Junge oder Mädchen, Mann oder Frau. Es wird Nacht; der Reisende muss Dorfstraßen hinab, zwischen den Häusern mit gelb erleuchteten Fenstern hindurch und weiter hinaus in die Dunkelheit der Felder. Jeder für sich gehen sie gen Westen oder gen Norden, hin zu den Bergen. Sie gehen weiter. Sie verlassen Omelas, sie schreiten voran in die Dunkelheit und sie kehren nicht zurück. Der Ort, zu dem sie gehen, ist für die meisten von uns noch unvorstellbarer als die Stadt des Glücks. Ich kann ihn nicht beschreiben. Möglicherweise existiert er nicht einmal. Doch sie scheinen zu wissen, wohin sie gehen, jene, die Omelas verlassen.
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