Mittelalterliche Drachen in Fantasy Literatur

February 27th 2021

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Aus der Fantasy Literatur ist der Drache nicht mehr wegzudenken. Ob als Freund oder Feind, der Drache erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, wenn es um dieses Literaturgenre geht. Drei Drachendarstellungen sind in der aktuellen Belletristik beziehungsweise im zweiten Fall im aktuellen Film besonders präsent: In der Jugendbuchreihe um den Hauptcharakter Eragon ist der Drache Saphira ein Freund und der Protagonist als sogenannter Drachenreiter eng mit dem Wesen verbunden, in „Der Hobbit“ ist der Drache Smaug einer der Feinde, der auf dem Weg zum Sieg überwunden werden muss. In dem Fantasy-Epos „Game of Thrones“ sind die drei Drachen Drogon, Rhaegal und Viserion sowohl gut, als auch böse: gut darin, dass die dem Charakter Danaerys Targaryen loyal sind und ihrem Willen folgen, böse darin, dass sie wilde Tiere sind und sich so auch verhalten. In diesem Essay möchte ich diese drei Beispiele genauer untersuchen und die Frage beantworten, inwieweit sich diese Darstellung des Drachen auf sein mittelalterliches Vorbild übertragen lässt.

In Eragon schlüpft der Drache Saphira aus einem blauen, steinähnlichen Ei. Der Protagonist Eragon ist ihr erster menschlicher Kontakt und prägt sie so auf sich. Im Universum dieses Romans gelten Drachen als ausgestorben, oder zumindest überaus selten. Hier sind Drachen Reptilien, die über vier Beine, Schuppen, scharfen Zähnen und fledermausähnlichen Flügeln verfügen und die, wenn nicht verletzt, unsterblich waren, niemals mit dem Wachsen aufhören, wodurch überliefert wird, dass Drachen sogar mit Hügeln verwechselt wurden. Wie andere Reptilien schlüpfen Drachen aus Eiern, haben mit etwa sechs Monaten die Fähigkeit Feuer zu speien. Ihr Verhalten ist typisch das des Jägers, denn der Drache im eragonischen Universum jagt größere Tiere, konsumieren jedoch auch spezielle Pflanzen.

Wie bereits erwähnt, gibt es im eragonischen Universum sogenannte Drachenreiter, die geschlüpfte Dachen auf sich prägen und so, sobald die Drachen groß genug sind, auf ihnen reiten können und mit ihnen an Kämpfen und Kriegen teilnehmen. Es gibt jedoch auch freie Drachen, beziehungsweise gab es sie in der eragonischen Geschichte.

In Eragon ist der Drache ein Tier, wie jedes andere, wenn auch erwähnt werden muss, dass sie über eine hohe Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit verfügen und in der Lage sind, menschlich zu fühlen. Allerdings gibt es in diesem Universum eine größere Zahl von Wesenheiten, die typisch dem Genre sind, unter anderem Werkatzen, Geister oder die Nidwale (frei erfundene Wasserschlangenwesen). Damit verfügt das Werk über eine Vielzahl von nicht-realen Wesen, die es zu einem typischen Vertreter der Fantasy Literatur machen. Die Darstellung des Drachen ist für die moderne Fantasy typisch: der Drache als Reptil, das aus Eiern schlüpft, Feuer speien kann und fliegt. Auch das zweite Beispiel, der Drache Smaug, fällt in dieses Schema.

Smaug ist einer der Antagonisten in Der Hobbit. Ursprünglich auf dem Kinderbuch von Tolkien basierend, ist die Geschichte im Film zu einem Epos gewachsen. Die sogenannte Welt Tolkiens, Mittelerde, ist heute Vorbild für Fantasy und Tolkien gilt als Begründer der modernen Fantasy Literatur, weshalb an dieser Stelle genauer auf seine Welt mit ihren Bezügen zum europäischen Sagenkult eigegangen werden muss. Tolkiens Welt ist überaus komplex. In seiner Kreativität erschuf er nicht nur das Universum, in dem „Der Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“ seine Handlungen finden, er erschuf eine Welt von ihrer Entstehung, bis zu einer Prophezeiung über ihr Ende. Tausende Jahre und mehrere Zeitalter lang existiert die Welt, die den berühmten Kontinent Mittelerde in sich trägt. Darin, in dieser Welt, gibt es viele Gattungen, Rassen und Wesenheiten. Smaug ist im herkömmlichen Sinn ein Drache, dennoch hat er in Tolkiens Welt andere Namen. So ist er zum einen Urulóci, was so viel bedeutet, wie Feuerschlange, zum anderen gehört er der Rasse der Rámalóci (geflügelte Drachenschlange). Drachen sind Geschöpfe Ardas. Arda, der Urkontinent im tolkinschen Universum, das von anderen Wesen (Valar) erschaffen wird.

Zu den Geschöpfen Ardas gehören neben den Drachen beispielsweise auch die Elben, die heute auch außerhalb Tolkiens Erzählungen Bekanntheit gefunden haben. Drachen wurden in Tolkiens Welt von Morgoth (oder Melkor; Antagonist aus Tolkiens Vorgeschichten) gezüchtet, damit sie ihm in seinem Krieg unterstützen. Die ersten Drachen, die Morgoth züchtete, waren die Urulóci, die Feuerdrachen (oder Feuerschlangen). Sie konnten Feuer speien, jedoch nicht fliegen. Als Vater dieser Drachen wird Glaurung bekannt, der als erster und einer der stärksten Drachen gilt. Er wird als goldgeschuppt dargestellt und zuweilen als goldene Schlange bezeichnet.

Die zweite Drachenrasse ist die der Flügeldrachen (oder geflügelte Drachen; Rámalóci), die, wie der Name schon sagt, die ersten geflügelten Drachen waren. Sie gelten als die stärksten Drachen und als die mächtigsten Diener Morgoths.

Eine weitere Drachenrasse sind die Kaltdrachen, die nicht Feuer speien können, dafür aber fliegen.

Wie bereits erwähnt, ist der Drache Smaug sowohl Urulóci, als auch  Rámalóci, was ihn zu einem feuerspeienden, fliegenden Drachen macht. Daran ist abzusehen, dass ihn seine Hybrideigenschaft zu einem sehr starken Wesen macht. Smaug, der der letzte Urulóci ist, ist also der Antagonist in Tolkiens Roman "Der Hobbit" und lebt in der Großen Halle der Zwergenstadt im Einsamen Berg. Dort hat er im Laufe der Jahre einen großen Goldschatz angesammelt. Nach Tolkien ist Smaug nicht in der Lage über den Langen See zu fliegen, da er so heiß ist, dass er über dem See einfach verglühen würde. Da ihm im Roman ein kleiner Teil seines Schatzes gestohlen wird, wird er überaus wütend und zerstört daraufhin große Teile der umliegenden Landschaft. Später findet der Hobbit seine Schwachstelle heraus und Smaug wird letzten Endes mit einem Pfeil niedergestreckt.

Im Fantasy-Epos von George R.R. Martin, der allgemein am besten unter dem Namen „Game of Thrones“ bekannt ist, sind die Drachen erst einmal ausgestorben. Sie sind daraus bekannt, das die Familie Targaryen mit ihnen die sieben Königslande erobert und regiert hat. Sie sind reptilienartige, geschuppte Wesen mit zwei bis vier Beinen und Flügeln, ihre Schädelknochen sehen aus wie Onyx.

Die Legende besagt, dass Drachen aus einem Mond schlüpften, der brach, als er zu nah an die Sonne geriet. Drachen stammen von der valyrischen Halbinsel aus den Vierzehn Flammen (Vulkankette), wo das Volk der Valyrier sie findet und in der Lage ist, sie zu zähmen. Dadurch werden die fliegenden, feuerspeienden Drachen zu Kriegswaffen, mit denen das Valyrische Volk sehr mächtig wurde. Nach einer unbekannten Katastrophe, die das Land der Valyrier, aber auch fast alle Drachen zerstört und unbelebbar macht, verlassen die wenigen Überlebenden den Kontinent und es kommt zu einem Zeitalter von Kriegen. Die überlebenden Adelsfamilien, angeführt von der Familie der Targaryen, die zu beginn der Handlung die einzige bekannte Familie der sogenannten Drachenherren (Drachenherren, oder Drachenlord ist der Titel, den die Mitglieder der ehemals vierzig Adelsfamilien Valyriens innehatten, die in der Lage waren, Drachen zu reiten und zu kontrollieren.) ist, siedeln sich zunächst abgeschieden auf der Insel Drachenstein mit den letzten Drachen an. Etwa hundert Jahre später nutzt Aegon I die letzten drei Drachen, um die sieben Königreiche auf dem Kontinent Westeros zu erobern und zu einem Königreich zu vereinen. Im Folgenden herrschen die Drachenkönige der Targaryen Familie für Generationen über die sieben Königslande, doch auch ihre Drachen sterben schließlich aus und die Drachen gelten somit als ausgestorben. Was zurück bleibt, sind Relikte, wie Knochen und Eier, die als Schmuck oder Waffen genutzt wurden. Zu beginn der Handlung ist auch das Königshaus der Targaryen beinahe ausgestorben, da sie durch einen Putsch vernichtet worden sind. Lediglich Daenerys Targaryen und ihr Bruder Viserys leben versteckt in der Stadt Pentos und warten auf ihre Chance, das Königreich zurückzuerobern. Zur Hochzeit erhält Daenerys drei versteinerte Dracheneier, die als Dekoration dienen sollen. Als Daenerys gemeinsam mit diesen Eiern auf den Scheiterhaufen steigt, überlebt sie das Feuer und die Drachen schlüpfen. Die Drachen wachsen im Laufe der Handlung immer mehr zu großen Tieren heran, die Daenerys nicht kontrollieren kann, zwei von ihnen (Rhaegal und Viserion) kettet sie schließlich fest, damit sie niemanden verletzen, Drogon fliegt jedoch weg und lebt seitdem frei, kehrt jedoch immer dann zu Daenerys zurück, wenn sie in Gefahr ist. Die Drachen in GoT (Game of Thrones) sind auf Daenerys geprägt, wodurch die den Titel Mutter der Drachen (original Mother of Dragons) erhält. Auch Daenerys nutzt ihre Drachen als Waffen, hat aber nicht immer die nötige Kontrolle über sie. Zur Zeit der aktuellen Handlung ist die, wie einst ihre Vorfahren, mit ihren Drachen auf dem Weg zum Kontinent Westeros. Drogon, der größte der drei Drachen, ist (noch nicht ausgewachsen) etwa 12 Meter lang. Anders als Saphira und Smaug haben diese Drachen jedoch keine Intelligenz. Sie verhalten sich animalisch und sind nicht in der Lage zu kommunizieren.

Der Drache ist in der modernden Gesellschaft fest als fantasievolles Wesen verankert. Sie gelten als traditionelles Fantasy-Wesen, so wie neben ihnen auch Einhörner oder Greifen. Im Mittelalter und besonders in mittelalterlicher Heldenepik waren Drachen jedoch keineswegs Geschöpfe der Fantasie. Vielmehr ging man hier davon aus, dass Drachen in noch nicht erkundeten Gebieten der Welt durchaus leben und existieren konnten.

Als Urvater der modernen Drachenfantasy kann man Tolkien sehen. Seine Adaption von mythologischen Drachenwesen war die erste große Thematisierung mit Drachen in modernerer Literatur. Anders als bei Eragon, wo der Drache die heutige, typische gute Fantasy Figur ist, sind die Drachen bei Tolkien stark angelehnt an die Drachen der europäischen Mythologie. Besonders Beowulf und Fanfnir werden bei Tolkien als Ursprung der Drachenfigur gesehen, da davon auszugehen ist, dass Tolkien der Meinung war, diese seien die einzigen, "echten" Drachen der Mythologie. Gleichzeitig ist der Drache hier, da die Welt stark fantastisch ist, nicht das einzige mythologischen Wesen, sondern gliedert sich in Tolkiens fantastisches Spiel zwischen Gut und Böse ein. Dies ist bei „Game of Thrones“ anders, dort sind die Drachen Tiere, die wie Smaug zwar Feuer speien und fliegen können, jedoch keine Intelligenz haben und dem Gut-Böse Schema, das bei Tolkien angewandt wird, nicht entsprechen.

Beowulf und Fanfir werden als möglichen Ursprung für Tolkiens Drachen genannt. In Beowulf (angelsächsische Heldendichtung) wird der Held Beowulf mit einem Drachen konfrontiert, den er besiegen muss, was ihm jedoch nicht gelingt, woraufhin er tödlich verwundet wird und schließlich stirbt. Der Drache (wyrm) wird als fliegendes, feuerspeiendes Wesen beschrieben, das eine Gefahr für den Drachentöter ist (anders als in Werken, wie zum Beispiel der Drache im Iwein, der leicht zu besiegen war). Da es vor dem Beowulf-Drachen dieserlei Beschreibungen nicht gab, wird er in der Kryptozoologie als der ursprüngliche Drache gesehen.

 Fanfir war der Sohn des Zwergenkönigs Hreidmar in der nordischen Mythologie. Um an dessen Schatz zu gelangen tötete Fanfir seinen Vater (deshalb floh sein Bruder Reginn und wurde später der Mentor von Siegfried). Daraufhin verwandelte sich Fanfir in einen Drachen ( Lindwurm: lintwyrm) und beschützte diesen Schatz. Fanfir wurde schließlich von Siegfried erschlagen, der durch ein Bad in seinem Blut unverwundbar wurde (vgl. Nibelungensage). Anders als der Beowulf-Drache, wird Fanfir als Lindwurm beschrieben, das heißt ein Drache, der schlangenartig ist. Diese beiden Darstellungen nahm Tolkien als Vorbild für seine Drachen.

In der mittelhochdeutschen Sprache wird der Drache zumeist folgendermaßen geschrieben: lint, wyrm, wôrm, wurm, orm, trache, slang, sepent. Diese Worte können zumeist ebenso gut als Schlange beziehungsweise schlangenähnlich übersetzt werden, wie als Drache. Der mittelalterliche Drache ähnelte dementsprechend äußerlich der modernen Fantasy Figur nur wenig. Zudem kann ein mittelalterlicher Drache (wie wir es in Eragon haben) niemals gut sein. Er ist unambivalent und steht immer für das Böse. Beschreibungen von Feuer und Gestank sogen für Assoziationen mit dem Teufel. Der Drache ist außerdem kein Tier (wie in Game of Thrones), denn Tiere werden mit Fell beschrieben. Allgemein lässt sich sagen, dass über Drachen, so wie man vermutete, dass sie irgendwo existieren, wenig bekannt war. Das lässt sich daraus schließen, dass Drachen stets wenig beschrieben wurden. Der Drache steht stattdessen immer für das Böse und den Kampf gegen dieses. Er hat immer die Funktion, den Helden heldenhaft aussehen zu lassen, ob als Brautwerbungsdrache in der Heldenepik, als Erlöserdrache im Diskurs um den Heiligen Georg, oder als adventuîre- Drache mit einer "danzel in distress".

Der Drache ist heute ein etabliertes Fabelwesen, das zwar zumeist böse dargestellt wird, seine Unambivalenz jedoch lange verloren hat. Ist er bei Tolkien noch böse, wird er in jugendlicher Fantasy zu einem mächtigen, jedoch guten Wesen. Zudem ist der Drache nicht mehr nur noch Drache, er wird zu einem Tier, das nach animalischen Instinkten und nicht mehr nach Verstand handelt. Tolkien nahm sich die mittelalterlichen Drachen zum Vorbild, denn seine Drachen sind weniger animalisch, dafür jedoch durchweg böse. George RR. Martin nahm sich diese Drachen ebenfalls zum Vorbild (zuzüglich der Drachen aus der Heraldik), machte sie jedoch zu ambivalenten Tieren, die nicht nach Verstand, sondern nach Instinkten handeln. In Eragon sind Drachen Freunde und Verbündete (obwohl sie auch hier als Feind existieren). Auch hier gibt es eine Ambivalenz. Das Bild des Drachen ist heute in der allgemeinen Vorstellung verankert. Mit dem wyrm oder worm des Mittelalters haben sie heute weniger, als mit einer fest verankerten Vorstellung eines feuerspeienden Reptils zu tun, dennoch sind die Ursprünge dieser Vorstellungen noch immer deutlich.

Mir wiegt das Herz so schwer
wie graue Wolken am Himmelszelt.
Und ich frag mich, wie’s wohl wär
in einer anderen, fremden Welt.

© Yana Schumacher